Abzug finaler Auslandsverluste vor dem Aus?

Von Peter Scheller

Seit dem Fall Marks & Spencer hat sich der Europäische Gerichtshof in einer ganzen Reihe mit der Frage beschäftigt, wann Verluste von ausländischen Tochtergesellschaften und Betriebsstätten im Land der Muttergesellschaft oder des Stammhauses berücksichtigt werden müssen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes wie auch Folgeentscheidungen des Bundesfinanzhofes sind Auslandsverluste dann zu berücksichtigen, wenn diese final sind.

Worum geht es? Deutschland hat mit vielen Staaten Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen. Nach diesen Abkommen hat regelmäßig der Staat das Besteuerungsrecht, in dem die Tochtergesellschaft ansässig ist oder die Betriebsstätte liegt. In Deutschland sind Gewinne der ausländischen Tochtergesellschaften  oder Betriebsstätten in fast allen Fällen von der Besteuerung ausgenommen. Diese Freistellung von Gewinnen führt aber auch dazu, dass das deutsche Steuerrecht entsprechende Verluste nicht zum Abzug zulässt. Das führt natürlich dazu, dass ein inländisches Unternehmen Verluste aus einer Auslandsaktivität im Inland nicht abziehen kann, selbst wenn diese im Ausland nicht verwertbar sind.

Beispiel: Ein deutsches Unternehmen produziert im Inland medizinische Geräte. Es möchte seine Vertriebsaktivitäten auf dem britischen Markt intensivieren und gründet deshalb eine Niederlassung in Großbritannien. Im Ausland werden Lager- und Büroflächen angemietet sowie Vertriebs- und Büropersonal angestellt.  Der Plan ist, dass die Niederlassung Anlaufverluste macht und nach zwei Jahren Break Even erreicht. Das deutsche Stammhaus liefert Geräten nach Großbritannien. Aufgrund nicht vorhersehbarer Preissteigerung in Großbritannien gelingt es der britischen Niederlassung nicht, innerhalb von vier Jahren Gewinne zu machen. Deshalb beschließt die Geschäftsführung, die Niederlassung  zu schließen  und Vertriebsaktivitäten durch unabhängige Vertriebsagenten durchführen zu lassen.  Durch das Stammhaus eingesetzte Investitionsmittelgehen verloren.

Nach deutschem Recht sind diese Verluste steuerlich nicht abzugsfähig.  Seit dem Urteil im Fall Marks & Spencer und später im Lidl-Fall ist umstritten, wann und unter welchen Voraussetzungen Verluste final werden und damit in Deutschland doch abzugsfähig sind.

An dieser Stelle soll nicht in diese Diskussion eingestiegen werden. Hierzu gibt es in der deutschen Fachliteratur eine fast unüberschaubare Anzahl von Fachbeiträgen.

Es soll um etwas anderes gehen. In der Rechtsprechung des EuGH geht es hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe für die (steuerliche) Diskriminierung von Personen durch Mitgliedsstaaten um die Wahrung der Aufteilung Besteuerungsbefugnissen zwischen den Mitgliedsstaaten. Unter diesem Gesichtspunkt könnte die Berücksichtigung von finalen Verlusten insgesamt entfallen. Schnitger stellt in seiner Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 19.07. 2012 in der Rechtssache A Oy (C – 123/11) die Überlegungen der Generalanwältin Kokott dar (IStR 16/2012, 624 ff.). Er hält die Frage der Generalanwältin, ob Verluste überhaupt final sein können, für mutig. Alle durch den EuGH und seine Kommentatoren angestellten Erwägungen sind steuersystematisch nachvollziehbar. Aber sie sind weder betriebs- noch volkswirtschaftlich vertretbar. Der systematische Gedanke ist einfach. Stellt ein Mitgliedsstaat Gewinne einer ausländischen Betriebsstätte von der Steuer frei, muss er auch im Ausland generierte Verluste nicht steuermindern berücksichtigen. Dieser Gedanke unterstellt, dass der im Ausland erlittene Verlust in keinem gewinnerhöhenden und im Inland steuerpflichtigen Gewinne nach sich ziehenden Zusammenhang steht. Aber genau diese rechtssystematisch nachvollziehbare Annahme ist wirtschaftlich häufig Unsinn.

Nehmen wir unser oben dargestelltes Beispiel. Das deutsche Unternehmen erwirtschaftet im Ausland Verluste. Aber wahrscheinlich hat es durch diese Aktivitäten im Inland für zusätzlich gewinnbringende Umsätze gesorgt. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn die Geräte insgesamt mit Gewinn veräußert werden können. Gleichzeitig verbessert das Unternehmen durch die zusätzlichen ausländischen Umsätze seine Deckung von Fixkosten durch bessere Ausnutzung von Administration, Geschäftsführung, Forschung und Entwicklung und ähnliche Kostenverursachern, die weitgehend umsatzunabhängig sind. Das heißt, dass die Gewinnsituation des Gesamtunternehmens durch die Auslandaktivität durchaus positiv sein kann, obwohl die Auslandsniederlassung Verluste schreibt. Die Zusatzgewinne unterliegen im Inland vollumfänglich der Besteuerung. Wirtschaftlich gibt es überhaupt keinen Grund, diese Mehrgewinne nicht mit den Verlusten der ausländischen Betriebsstätte zu verrechnen. Ohne die Auslandsaktivität wäre es nicht zu entsprechenden Mehrgewinnen gekommen. Es wird leicht einsichtig, dass Rechtssystematik und die Sicht juristisch geprägter Menschen die wirtschaftliche Wirklichkeit eben nicht richtig abbilden. Auslandsverluste können ohne weiteres im Inland zu berücksichtigen sein, weil diese Auslandsaktivität zu einem im Inland steuerpflichtigen Zusatzgewinn geführt haben.

An dieser Stelle kommt der Aufruf an alle Mitglieder der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Meine oben vorgetragene Argumentation wird Fiskalrichter nicht überzeugen, es sei denn, ich kann die Richtigkeit meiner Überlegungen wissenschaftlich belegen. Und hierzu benötige ich die Unterstützung volks- und betriebswirtschaftlicher Fakultäten, die gewillt sind, durch eine empirische Untersuchung die Richtigkeit meiner Aussage zu belegen. Jeder, der an einem solchen Projekt mitarbeiten möchte, möge sich bitte bei mir melden.

Peter Scheller (p.scheller@sybo-ag.de)