Nachdenken über die Anlage ST

oder: „Wie treibe ich den steuerlichen Berater in den Wahnsinn?“

von Otto-A. Peters

Oft ist der steuerliche Berater mit der Frage der Mandantschaft nach dem Sinn einzelner Bestimmungen der Steuergesetze konfrontiert. Meine Antwort darauf ist in der Regel, dass ich die Anwendung erklären könnte, dass ich bereit bin (wie es meine Aufgabe ist) dem Mandanten dabei zu helfen, die Gesetze so anzuwenden, dass eine möglichst geringe Zahllast im Rahmen des Zulässigen entsteht – aber dass ich Fragen nach dem Warum grundsätzlich nicht beantworte, um meine geistige Gesundheit nicht zu gefährden.

Aber heute, in der Ruhe und Entspannung eines langen Wochenendes, traue ich mich: Ich frage nicht „Wo kommen die Löcher im Käse her?“ (Tucholsky), sondern ich frage: „Warum müssen die Steuerbürger eine Anlage ST ausfüllen und einreichen?“

Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind klar, §150 Abs. 5 AO:

 (5) IIn die Vordrucke der Steuererklärung können auch Fragen aufgenommen werden, die zur Ergänzung der Besteuerungsunterlagen für Zwecke einer Statistik nach dem Gesetz über Steuerstatistiken erforderlich sind. 2Die Finanzbehörden können ferner von Steuerpflichtigen Auskünfte verlangen, die für die Durchführung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes erforderlich sind. 3Die Finanzbehörden haben bei der Überprüfung der Angaben dieselben Befugnisse wie bei der Aufklärung der für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse.

Bislang war es so, dass die über den Verweis auf das Gesetz über Steuerstatistiken definierten Daten alle drei Jahre abgefordert werden konnten. Nunmehr ist aber durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG vom 26.06.2013, anzuwenden ab 30.06.2013, auf einen jährlichen Abgaberhythmus umgestellt worden.

Das geht ins Blut, das ist der Rhythmus, wo jeder mit muss – aber WARUM???

Alle Daten, die in der Anlage ST abgefragt werden, liegen der Finanzverwaltung doch bereits vor. Durch die E-Bilanz wird hier die letzte Lücke geschlossen: es ist wirklich alles da – nur nicht in Form der Anlage ST.

Warum also?

Nach meinem Dafürhalten handelt es sich hier um Fron- und Spanndienste, die der Bürger unentgeltlich zu leisten hat. Aber die Fron- und Spanndienste in feudalistischer Zeit hatten noch einen Sinn: Der Bürger musste an so und so vielen Tagen mit Pferd und Wagen seinem Grundherren zur Verfügung stehen für Fahrten in die Stadt, der Bürger musste mit Hacke und Spaten auf dem Land des Grundbesitzers tätig werden. Da musste dann Land umgegraben werden, welches zuvor noch nicht umgegraben war.

Wenn wir das nun aber mit der Anforderung der Anlage ST vergleichen, passt es schon nicht mehr. Daten, die aus anderen Steuerformularen bereits vorliegen, nochmals zu übermitteln, würde bedeuten, dass der abhängige Bürger das Stück Land, das vielleicht der Nachbar bereits umgegraben hat, nochmals umgraben muss.

Die Frage ist, ob das ein Grundbesitzer oder Lehensherr tatsächlich von seinem Dienstverpflichteten verlangt hätte. Wäre es nicht sinnvoller, ihn ein anderes Stück Land umgraben zu lassen? Könnte man von den Steuerbürgern nicht andere Daten abfragen, primär solche, die in der Finanzverwaltung noch nicht vorliegen, wie z.B. Schuhgröße oder Körpergewicht? Was die Sinnhaftigkeit der Abfrage angeht, würde man sich doch auf höherem Niveau bewegen als mit der derzeitigen Anlage ST, denn Angaben über Schuhgröße und Körpergewicht liegen nach meiner Kenntnis in der Finanzverwaltung noch nicht vor. Durch § 150 Abs. 5 AO in Verbindung mit § 2 Steuerstatistikgesetz geht das jedoch nicht. Letztere Bestimmung schreibt klar vor, was erhoben werden darf – wenn man es nachliest, ausschließlich Zeug, was in Steuererklärungen bereits übermittelt wurde.

Als Vertreter der Finanzverwaltung könnte man jetzt argumentieren, aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sei es sinnvoller, die statistischen Daten regelmäßig vom Bürger separat einzusammeln als aus den vorliegenden unterschiedlichen Steuerformularen von Amts wegen zu ermitteln. Aber auch das stimmt nicht. Mir soll mal einer aus der Verwaltung vorrechnen, dass es teurer ist, einen oder zwei Techniker für drei Monate abzustellen, eine kleine Routine zu programmieren, die das kann, als jährlich zigtausende Steuerbürger und ihre Berater mit der unnötigen Anlage ST zu beschäftigen.

Du siehst, geneigter Leser, eine Antwort auf das WARUM rückt in immer weitere Fernen, je mehr man versucht, ihr näher zu kommen. Ich sehe meine Wochenenderholung schwinden. Bevor die sonntägliche Gelassenheit wieder dem alltagsbedingten Zorn weicht, schließe ich hier.

Auf dem Schauplatz bleiben zurück ein trauriges Steuerformular und ein kleiner kahlköpfiger Steuerberater, der die dünnen Arme zum Himmel hebt und, den Fiskus anklagend, weithinhallend ruft:

»Herr Finanzminister! Warum muss ich die Anlage ST abgeben –?«

(frei nach Kurt Tucholsky „Wo kommen die Löcher im Käse her?“